Verkehr | 10. April 2023

Mit viel eigener Energie der Sonne entgegen

Energiespeichersystem für Standseilbahn Sierre – Crans-Montana

Brems- und Solarenergie speichern, für den eigenen Betrieb nutzen und damit auch Bezugsspitzen glätten: Frey AG Stans hat für die umfassend erneuerte Standseilbahn Sierre – Montana ein Energiespeichersystem mit ABB-Komponenten realisiert. Damit kann die längste Standseilbahn der Schweiz den Strombezug aus dem Netz deutlich reduzieren.

Sierre wie auch Crans-Montana führen jeweils eine Sonne in ihrem Gemeindewappen. Wie passend, zählen sie doch zu den Schweizer Ortschaften mit den meisten Sonnentagen jährlich – insbesondere Crans-Montana, das auf einer nach Süden ausgerichteten Hochebene liegt.

Die Gemeindewappen von Sierre (links) und Crans-Montana.

Über vier Kilometer lang
Bereits seit 1911 sind die beiden Walliser Gemeinden per Standseilbahn verbunden. Ursprünglich in zwei Sektionen mit Umsteigestation geführt, wurde die kurvenreiche Bahn 1997 umgebaut und zu einer durchgängigen Standseilbahn vereinigt. Mit einer Länge von 4,2 Kilometern ist sie die längste im offenen Gelände geführte Standseilbahn Europas. Dabei überwindet sie eine Höhendifferenz von 930 Metern.

2022 vollständig erneuert
Im Jahr 2022 erfolgte eine vollständige Erneuerung der Bahn, inklusive Auswechslung der über hundertjährigen Geleise, einer Verbreiterung der Spur auf 1400 mm, einem Ausbau der Bahnhöfe Sierre und Crans-Montana, der Anschaffung zweier neuer Wagen – und der Integration eines Energiespeichersystems. Das gelang in lediglich neun Monaten. Wie geplant ging die runderneuerte Bahn am 11. Dezember 2022 in Betrieb. Sie verkehrt nun im 20-Minuten-Takt.

Die Standseilbahn führt vom Talboden in Sierre über 4,2 Kilometer und 930 Höhenmeter nach Crans-Montana. (Foto: Frey AG Stans)

Energieeffizienz auch im ÖV steigern
«Dieser umfassenden Revision gingen Jahre der Vorbereitungen voraus», erklärt Patrick Cretton, Direktor der SMC. In die Planung floss auch die Energiestrategie 2050 im öffentlichen Verkehr des Bundesamts für Verkehr ein. Das BAV fördert Projekte, die CO2-Emissionen verringern. «Es war klar, dass mit der Erneuerung auch die Energieeffizienz unserer Bahn gesteigert werden musste», so Cretton.

Bremsenergie speichern
Der Auftrag für die Erneuerung der Bahn ging an Doppelmayr/Garaventa. Der Weltmarktführer im Seilbahnbau ist seit fünf Jahren Besitzer der auf Seilbahn-Steuerungsanlagen spezialisierten Frey AG mit Hauptsitz in Stans. «Frey AG Stans hatte eine neue Energiespeicher-Lösung für die Magglingenbahn realisiert, die uns in ihrem Ansatz überzeugte», so Cretton. «Rekuperierte Bremsenergie zu speichern und nicht – wie bisher – ins Netz zurückzuspeisen, macht auch für uns Sinn.» Mit Strom aus dem eigenen Energiespeicher können insbesondere Bezugsspitzen geglättet werden, was sich auch finanziell auszahlt.

Patrick Cretton, Direktor der SMC (links) im Gespräch mit Roger Steffen, leitender Ingenieur bei der Frey AG Stans.

Für Photovoltaik besonders geeignet
«Hier in Crans-Montana Solarenergie als zweite Quelle für den Energiespeicher zu nutzen, liegt ebenso auf der Hand», so Cretton. «Wir haben oft auf über 2000 Sonnenstunden pro Jahr und zählen damit zu den zehn sonnigsten Gemeinden der Schweiz.» So liess die SMC auf der umgebauten Bergstation eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 62 Kilowatt-Peak installieren.

Energiespeicherlösung mit ABB-Modulen
Frey AG Stans hatte die Energiespeicherlösung inzwischen weiterentwickelt und standardisiert: ESFOR, was für «Energy Storage System For Ropeways» steht. Dafür nutzt Frey AG Stans die die besonders leistungsfähigen, für Traktionsanwendungen optimierten Energiespeichermodule, die ABB Schweiz seit wenigen Jahren in Baden fertigt. Die in der Bergstation in vier Schränken installierten, mit einem Battery Management System überwachten Energiespeichermodule haben eine Gesamtkapazität von 120 Kilowattstunden.

Der Energiespeicher in der Bergstation in Crans-Montana.

Energiespeicher auch für Räumungskonzept
«In das ESFOR haben wir auch ein Räumungskonzept integriert. Also ein Rettungskonzept für den Notbetrieb, beispielsweise beim Ausfall des Versorgungsnetztes, das die Fahrzeuge mit den Passagieren sicher zur nächsten Haltestelle bringt», erklärt Roger Steffen, Leitender Ingenieur Energiespeicher und -systeme der Frey AG Stans.

Inselbetrieb bei Netzausfall
Im Fall eines Netzausfalls wird die lokal gespeicherte Energie genutzt, um die Anlage im Inselbetrieb zu räumen. Dabei versorgen die Energiespeicher nicht nur den Antriebsmotor der Bahn, sondern auch die nötigen Hilfsbetriebe wie etwa Beleuchtung oder Kommunikation. Vor der Erneuerung war ein Dieselgenerator für den Notantrieb installiert. Dessen Wartungskosten und Platzbedarf entfallen mit der neuen Lösung.

1000-kW-Motor
Bereits 2016 wurde der bisherige Gleichstrommotor der Standbeilbahn ersetzt. Der neue Wechselstrommotor stammt von ABB und weist die beeindruckende Leistung von 1000 Kilowatt auf. Er wird von einem ABB-Frequenzumrichter des Typs ACS880 angetrieben.

Der ABB-Motor im Maschinenhaus der Standseilbahn.

Direkt an Gleichstrom-Zwischenkreis angeschlossen
«Der Energiespeicher – der wie jede Batterie Gleichstrom liefert – ist über einen DC/DC-Wandler direkt an den Gleichstrom-Zwischenkreis dieses Frequenzumrichters angeschlossen», erklärt Hans Ulrich Zeller, der für die Engineering Services der Frey AG Stans arbeitet. Auch das eine Neuerung des ESFOR, die die Gesamteffizienz des Systems erhöht.

Stromspitze beim Anfahren
Die Wagen der Standseilbahn sind fix mit einem Drahtseil von 44 Millimetern Durchmesser verbunden, das über eine Seilscheibe in der Bergstation geführt wird. Über eine Seilscheibe in der Talstation läuft ein dünneres und entsprechend leichteres Gegenseil von 22 mm. Je schwerer der talseitige Wagen beladen ist, desto grösser ist die beim Anfahren nötige Stromspitze, die nun über den lokalen Energiespeicher abgefedert werden kann – automatisiert über eine Software.

Der Frequenzumrichter ACS880 von ABB treibt den Motor an. Dessen Gleischstrom-Zwischenkreis ist über einen DC/DC-Wandler direkt an den Energiespeicher angeschlossen.

Rekuperation während eines Teils der Fahrzeit
Hat der bergwärts fahrende Wagen die Hälfte der Strecke erreicht, ist in einer idealtypischen Standseilbahn theoretisch keine Energiezufuhr mehr nötig, da sein talwärts fahrendes Gegenstück ihn über das fix verbundene Zugseil nun hochzieht. In der Praxis müssen der Rollwiderstand, die Beladung der Wagen, das relative Gewicht von Zug- und Gegenseil sowie die Gefälldifferenz berücksichtigt werden. «Im Alltagsbetrieb dürfte die Bahn durchschnittlich während eines Viertels der Fahrzeit abgebremst werden», so Steffen. Die dadurch rekuperierte Energie wird über den Frequenzumrichter dem Energiespeicher zugeführt.

Klimaneutraler Betrieb
«Eine Fahrt verbraucht rund 40 Kilowattstunden. Gut 10 Prozent davon können durch das Rekuperieren wieder gespeichert werden», rechnet Roger Steffen vor. «Und bei strahlendem Sonnenschein generiert die Photovoltaikanlage gut 60 Kilowattstunden pro Stunde.» Die Bahn fährt im 20-Minuten-Takt, also dreimal stündlich, was einem Bedarf von 120 Kilowattstunden entspricht. Dank Solaranlage, rekuperierter Bremsenergie und Energiespeicher kann an einem sonnigen Tag so rund die Hälfte der benötigten Energie selbst produziert bzw. wiederverwertet und vor Ort genutzt werden. «Was wir aus dem Netz beziehen, ist zudem zu 100 Prozent Strom aus erneuerbarer Wasserkraft – hier im Wallis generiert. Damit wird unsere Standseilbahn CO2-neutral betrieben» hält Patrick Cretton fest.