Interview | 28. Februar 2015

«Wir wollen die beste Lösung gemeinsam mit dem Kunden finden»

André Schärer zur Entwicklung von Rechenzentren

Vor welchen Herausforderungen stehen Rechenzentren angesichts der immer grösser werdenden Datenflut? Im Interview erklärt André Schärer, bei ABB Managing Director Niederspannungssysteme Schweiz und in dieser Business Unit globaler Segmentmanager für Datacenter, wie ABB auf der Basis ihrer Erfahrungen aus der Industrie bei Rechenzentren neue Lösungswege beschreitet.

Warum sind Rechenzentren so wichtig für das Funktionieren der digitalen Welt?

Rechenzentren spielen in jeder Volkswirtschaft eine wesentliche Rolle, weil sie das Rückgrat der Digitalisierung darstellen. Exponentiell steigende Datenmengen im Zusammenhang mit Trends, beispielsweise der Entwicklung zur Industrie 4.0, das müssen wir technologisch beherrschen. Das passiert in einem Rechenzentrum durch Speichern, Rechnen und Vernetzen. Weltweit entwickeln sich die Rechenzentren in Richtung eines eigenständigen Sektors mit Merkmalen, die wir aus der Industrie kennen. Es geschieht nur alles in viel kürzeren Zeiträumen, und es herrscht eine enorme Dynamik vor.

 

Woher kommen heute die wesentlichen Impulse, und wo sind die interessantesten Standorte?

Bei der Entwicklung innovativer Software zum Betreiben eines Rechenzentrums sind die US-Amerikaner die Vorreiter. Das Betreiben von Software setzt jedoch eine zuverlässige Infrastruktur voraus – und da sind wir in Europa immer noch die Weltmeister. In Zentraleuropa profitieren wir von der sehr guten elektrischen Infrastruktur. Was die interessantesten Standorte anbelangt, so haben sich in der Vergangenheit gerade viele der grössten amerikanischen Unternehmungen von steuerlichen Anreizen leiten lassen, zum Beispiel in Irland. Doch spätestens seit dem Bekanntwerden der NSA-Eingriffe spielt die Datensicherheit eine immer wichtigere Rolle, wodurch die Schweiz immer mehr profitiert. «Daten sind das neue Geld der Schweiz», zitiere ich Franz Grüter, den CEO der Green Datacenter AG.

 

Welche Aspekte sind die wichtigsten beim Betrieb von Rechenzentren?

An oberster Stelle steht praktisch bei allen Kunden die Verfügbarkeit. Kaum ein Unternehmen kann heute ohne seine IT-Infrastruktur funktionieren. Ausfälle der IT sind sofort geschäftskritisch, die entstehenden Umsatzausfälle und Kosten erheblich. Bei einem Co-Location-Rechenzentrum, in dem verschiedene Kunden ihre IT-Hardware betreiben, bezieht sich die Verfügbarkeit eher auf Facility-Aspekte wie Gebäude, Strom und Kälte. Bei einem Managed-Service-Kunden, der alles inklusive IT-Applikationen anbietet, bezieht sich die Verfügbarkeit eher auf die IT-Applikationen.

 

Auf welche Weise kann Verfügbarkeit in Zukunft möglichst kosteneffizient gewährleistet werden?

Verfügbarkeit kann grundsätzlich auf unterschiedliche Art und Weise gewährleistet werden. In der Vergangenheit wurde Verfügbarkeit vorwiegend über eine aufwendige, teils mehrfach redundante und nicht zuletzt auch sehr kostenintensive physische Infrastruktur gewährleistet. Mit den heutigen Möglichkeiten in den Bereichen Cloud Computing und Virtualisierung gibt es Ansätze, Verfügbarkeit vermehrt über Software zu definieren, wodurch auf eine kostspielige, physische Infrastruktur zumindest teilweise verzichtet werden kann.

 

Welchen Weg beschreitet ABB bei der Planung eines Rechenzentrums?

Als führender Anbieter von Energie- und Automationstechnik-Lösungen für geschäftskritische Anwendungen in der Industrie bringen wir eine wichtige Grundvoraussetzung mit. Das heisst allerdings nicht, dass wir unseren Rechenzentren-Kunden – von denen wir nach wie vor lernen können – eine industrielle Vorgehensweise nahelegen. Vielmehr suchen wir proaktiv den Dialog mit unseren Kunden, um zunächst genau zu verstehen, wo der Schuh drückt. Darauf basierend, erarbeiten wir massgeschneiderte Lösungen unter Berücksichtigung aller Aspekte, um den Anforderungen im Detail gerecht zu werden, bevor es dann an die konkrete Umsetzung geht. Dass wir als ABB sehr breit aufgestellt sind und viele verschiedene Ansätze verfolgen können, kommt uns hier sehr zugute. Wir sind innovative Ingenieure, die die beste Lösung gemeinsam mit dem Kunden finden wollen. Gleichzeitig decken wir praktisch das gesamte Portfolio an Energie- und Automationstechnik ab, das in Rechenzentren zur Anwendung kommt.

 

Inwiefern müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten, um Innovationen in Rechenzentren umzusetzen?

Grundsätzlich versuchen wir, bei jeder Opportunität neue Gedanken in den Planungsprozess einzubringen, um Innovationen gezielt zu fördern. Es ist jedoch entscheidend, dass sich unsere Kunden dabei stets wohl fühlen, indem wir einen evolutionären Prozess anstreben. Gerade im Rechenzentrumsgeschäft besteht eine gewisse konservative Grundhaltung, auf Bewährtes zu setzen. Revolutionen sind hier also fehl am Platz, da diese aus Sicht unserer Kunden mit einem zu hohen Risiko verbunden sind.

 

In welchen Bereichen kann ABB innovative Beiträge zur Optimierung von Rechenzentren leisten?

Da ABB weder im Bereich der Kühlung noch im IT-Bereich von Rechenzentren tätig ist – in denen durchaus noch viel Potenzial besteht –, beschränkt sich unser Einflussbereich grundsätzlich auf die elektrische Infrastruktur und die Automatisierung. Dies bedeutet aber keineswegs, dass in diesen Bereichen kein Spielraum für Optimierungen mehr besteht, wie folgendes Beispiel zeigt: Derzeit sind wir dabei, die Entwicklung einer sehr innovativen Lösung abzuschliessen, wodurch eine hocheffiziente elektrische Architektur der Energieversorgung und -verteilung ermöglicht wird. Die elektrische Infrastruktur wird übersichtlicher und stark vereinfacht. Ineffizienzen werden systematisch eliminiert, ohne dabei Kompromisse bezüglich Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Wartbarkeit und Sicherheit einzugehen.

 

Ein Blick voraus: Welche Aspekte werden die Entwicklung bei Rechenzentren in den kommenden 10 bis 20 Jahren am stärksten beeinflussen?

Wir können grundsätzlich von stetig steigenden Datenmengen und deren Verarbeitung ausgehen, wobei unsere Welt insgesamt noch vernetzter sein wird. Auf der einen Seite führt dieser Trend zu einem massiv ansteigenden Energiebedarf, was den Ruf nach energieeffizienten Technologien in allen Bereichen des Rechenzentrums immer lauter werden lässt. Diese erfordern eine enge Zusammenarbeit der Beteiligten aller Disziplinen. Andererseits werden die Anforderungen an Verfügbarkeit und Kosteneffizienz steigen, wodurch Cloud Computing und Virtualisierung weiter an Bedeutung gewinnen werden.