| 13. Oktober 2016
125 Jahre bahnbrechende Technologien
Mit dem BBC-Erbe in die digitale Zukunft
1891 gründeten der Sohn eines englischen Ingenieurs und ein junger Deutscher ein Start-up in Baden. Die Vision von Charles Brown und Walter Boveri: elektrische Energie als Schrittmacher für ein neues Zeitalter. Der Rest ist Geschichte – die erfolgreich weitergeführt wird.
Charles Brown und Walter Boveri ergänzten sich perfekt. Charles, Sohn eines englischen Ingenieurs, war ein genialer Konstrukteur; der in Deutschland geborene Walter galt als besonnener, technisch versierter Projektleiter. Die künftige Internationalität wurde dem Schweizer Unternehmen quasi in die Wiege gelegt.
Obwohl noch keine 25 Jahre alt, hatten sich Brown und Boveri Mitte der 1880erJahre in der Maschinenfabrik Oerlikon in Zürich mit ihren Leistungen bereits einen Namen gemacht. Ihr Unternehmergeist bewog sie dazu, ihre Fähigkeiten zu kombinieren und eine eigene Firma zu gründen.
Ihre Vision war klar: Elektrische Energie kann auch über grosse Distanzen transportiert werden; sie wird die Welt erleuchten und bewegen. Deshalb braucht die Menschheit Systeme, um elektrischen Strom zu generieren, zu transportieren und zu nutzen. Diese Vision nährte sich aus dem Erfolg, den Brown bereits hatte erzielen können. Er hatte den Transformator und den Generator für das Kraftwerk Lauffen in Deutschland entworfen. Damit konnte erstmals in Europa elektrische Energie mit hochgespanntem Wechselstrom relativ verlustarm über eine weite Strecke übertragen werden – ins rund 175 km entfernte Frankfurt am Main. Dieser Erfolg war mitentscheidend bei der Antwort auf die «Stromkrieg» genannte Grundsatzfrage der Pionierzeit, ob das Versorgungsnetz mit Gleichstrom oder Wechselstrom aufgebaut werden solle. Jahrzehnte später sollte die BBC/ABB mit ihren Entwicklungen in der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung wieder die Vorteile von Gleichstrom für den Transport von elektrischer Energie über weite Strecken nutzbar machen.
Start-up in der Bäderstadt
Die Suche nach einem Standort für ihr Start-up führte die beiden innovativen Ingenieure nach Baden. Dort wollte die neu gegründete Gesellschaft ein Laufwasserkraftwerk errichten, um den industriellen Aufschwung in den kriselnden Bäderkurort zu bringen.
Brown und Boveri erhielten den Auftrag, die Generatoren für dieses Flusskraftwerk zu konstruieren – und gleichzeitig wurde ihnen Bauland für die Errichtung ihrer Konstruktionsbüros und Fabriken angeboten. Die beiden Ingenieure sahen die Vorteile dieses Arrangements und nahmen das Angebot an – auch heute sucht ABB weltweit die Nähe zum Kunden, um dort zu produzieren, wo der Bedarf anfällt. Zudem versprach das zu bauende Kraftwerk auch eine sichere Stromversorgung für den eigenen aufzubauenden Betrieb.
So wurde BBC am 2. Oktober 1891 in Baden gegründet. Ein Garagenunternehmen war das Start-up nicht; es wurde mit der grossen Kelle angerichtet. Boveris begüterter Schwiegervater lieh ihm für die Gründung 500 000 CHF. Die Betriebsaufnahme erfolgte mit rund 100 Arbeitern und zwei Dutzend Angestellten. Bereits im Februar 1892 konnten die ersten Arbeiter in der schnell hochgezogenen Fabrik ihr Werk beginnen. Noch im selben Jahr wurde die erste Maschinengruppe des Flusskraftwerks in Betrieb genommen. Die Stromlieferung an die Stadt Baden und BBC selbst konnte beginnen.
Das junge Unternehmen wuchs in atemberaubendem Tempo – und diversifizierte auch rasch. 1895 lieferte BBC bereits den 1000. Generator aus. Im selben Jahr war die Firma für die elektrische Ausrüstung für die Strassenbahn im südschweizerischen Lugano besorgt, drei Jahre später auch für die der Zahnradbahnen auf den Gornergrat und auf das Jungfraujoch in den Schweizer Alpen. Brown und Boveri entwickelten zudem gemeinsam eine elektrisch betriebene Lokomotive. Sie wurde von 1899 an von der Burgdorf-Thun-Bahn in der Schweiz eingesetzt – auf der ersten elektrifizierten Normalspurstrecke Europas. Noch vor der Jahrhundertwende wurde die Produktion von Hochspannungsleistungsschaltern und Turbogeneratoren aufgenommen. Bald folgte die lizenzierte Fertigung von Dampfturbinen, die rasch an Bedeutung gewann.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte BBC bereits über 1700 Mitarbeitende. Nur elf Jahre nach der Gründung wurde die ursprüngliche Kommanditgesellschaft in eine mit 12 Mio. CHF kapitalisierte Aktiengesellschaft umgewandelt, damals eine enorme Summe. 1900 gründete BBC im deutschen Mannheim das erste von zahlreichen weiteren Tochterunternehmen.
Die frühen 1920er-Jahre und die weltweite Wirtschaftsdepression Anfang der 1930er-Jahre waren schwierige Zeiten für BBC. Doch ab 1935 zog die Geschäftstätigkeit wieder an, zumal als die Bindung des Schweizer Frankens an den Goldstandard 1936 aufgegeben wurde. Das zog eine schlagartige Abwertung der nationalen Währung um 30 % nach sich – für ein exportorientiertes Unternehmen ein positiver inverser «Schock» im Vergleich zur Aufgabe der Euro-Franken-Untergrenze 2015.
Das junge Unternehmen wuchs in atemberaubendem Tempo.
Die goldenen Jahre
Das war der Auftakt zu einer jahrzehntelangen Boomphase, zuerst mit der Kriegskonjunktur in der unversehrten, neutralen Schweiz, dann vor allem in den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit. 1967 übernahm BBC die Maschinenfabrik Oerlikon, 1969 die Ateliers de Sécheron in Genf (heute produziert die ABB Sécheron SA an dem Standort Traktionstransformatoren für den weltweiten Bahnmarkt). Selbst die Ölpreiskrise 1973 konnte dem Unternehmen kaum etwas anhaben – es lieferte den prosperierenden ölproduzierenden Ländern Anlagen. So stieg der Umsatz bis 1978 insgesamt an; in der Schweiz beschäftigte BBC bis zu 22 000 Mitarbeitende. Danach folgte eine Phase der Stagnation. Weltweit bestand wegen der geringen Nachfrage nach neuen Kraftwerken eine beträchtliche Überkapazität im Grossmaschinenbau, dem Kerngeschäft von BBC. Es folgten Reorganisationen mit den Zielen, die Abhängigkeit vom Stromerzeugungsmarkt zu reduzieren und die gewachsenen Konzernstrukturen zu reformieren.
Fusion mit ASEA
Die neue Firmenleitung von BBC unter Verwaltungsratspräsident Fritz Leutwiler und Konzernchef Thomas Gasser suchte für die angestrebte Neuausrichtung Kooperationspartner, um problematische Bereiche zusammenlegen und gemeinsam weiterentwickeln zu können. Auch mit ASEA wurde zuerst nur die Zusammenarbeit im Hochspannungsbereich diskutiert. Die Verhandlungspartner gingen aber bald aufs Ganze und beschlossen 1988 schliesslich die Zusammenlegung aller Geschäftsbereiche zur bis dato grössten Fusion der Industriegeschichte.
Bei aller Wehmut, die viele langgediente BBC-Mitarbeitende bei der Zusammenlegung befiel, ergänzten sich die beiden Partner gut. BBC war in Zentraleuropa und im Nahen Osten stark verankert; ASEA war – neben Skandinavien – auch in Nordamerika und im Fernen Osten erfolgreich unterwegs. Die Schweden hatten mit der Robotik einen aufstrebenden, bei BBC nicht existierenden Geschäftszweig im Portfolio und brachten zudem eine modernere Managementphilosophie mit.
ABB wurde rasch erfolgreich, auch in der Schweiz. War BBC in der Schweiz 1987 noch in der Verlustzone, gelang schon 1989 der Turnaround. Grosse Veränderungen – vor allem auch in der Schweiz – folgten von Mitte der 1990er-Jahre an mit dem Verkauf der Eisenbahnsparte sowie des Kraftwerkbaus. Danach schlitterte ABB 2001/2002 in eine Krise.
2004 kehrte der Konzern in die Gewinnzone zurück und etablierte sich unter anderem als wichtiger Zulieferer von Systemen für den Bahn- wie auch den Kraftwerkbereich. Es folgten einige Akquisitionen, die auch die Schweizer ABB-Landesgesellschaft erweiterten. So kam mit dem Kauf des Unternehmens Thomas & Betts 2012 auch dessen Tochtergesellschaft PMA in Uster zu ABB, ein führender Produzent von Kabelschutzsystemen. Der Kanton Tessin zählt seit der Übernahme von Trasfor und Newave 2011 zu den Produktionsstandorten von ABB Schweiz. Trasfor, nahe Lugano, hatte sich mit der Entwicklung und Fertigung von massgeschneiderten Trockentransformatoren und Drosseln einen Namen gemacht, Newave, nahe Bellinzona, mit modularen Systemen für die unterbrechungsfreie Stromversorgung.
Energietechnik und Automation
Damit weist ABB in der Schweiz heute 15 Produktionsstandorte auf. Zwei davon sind in Zürich (Altstetten und Oerlikon) angesiedelt, womit ABB der bedeutendste industrielle Arbeitgeber in der Grossstadt ist. Dazu kommen das in Baden-Dättwil angesiedelte Konzernforschungszentrum sowie einige Verkaufsbüros, etwa die in Lausanne gelegene Zentrale für die Romandie, und der Konzernhauptsitz in Zürich-Oerlikon.
Getreu dem Motto «Power and productivity for a better world» ist ABB mit den beiden Kernbereichen Energietechnik und Automation gut aufgestellt, um die kommenden Herausforderungen und Chancen anzunehmen – sei es die Integration der erneuerbaren Energien oder die zunehmende Digitalisierung der Fertigung mit dem Internet der Dinge, Dienstleistungen und Menschen. So wurde auch jüngst die Position des «Chief Digital Officer» beim Konzern geschaffen.
Aktuelle Innovationen, die massgeblich von ABB in der Schweiz entwickelt wurden, sind beispielsweise der Smart Sensor für Elektromotoren oder der TOSA, der erste elektrisch angetriebene Gelenkbus der Welt, der ohne Oberleitungen auskommt und bald regulär auf einer Linie in Genf verkehren wird.
Die mit elektrischer Energie bewegte Welt faszinierte schon Charles Brown und Walter Boveri und trieb sie dazu an, BBC zu gründen. ABB sorgt in deren Erbe dafür, Generation, Verteilung und Nutzung elektrischer Energie noch effizienter und ressourcenschonender zu gestalten – insbesondere auch mit modernen, vernetzten Automationslösungen.
ABB ist mit den beiden Kernbereichen Energietechnik und Automation gut aufgestellt.