| 14. Dezember 2015

Frischluft für den Gotthard-Basistunnel

Erfolgreicher Abschluss der Inbetriebsetzung des weltweit leistungsstärksten Lüftungssystems nach fast sechs Jahren Projektlaufzeit

Nach fast sechs Jahren Projektlaufzeit ist nun die Inbetriebsetzung des weltweit leistungsstärksten Lüftungssystems im Schweizer Jahrhundertbauwerk erfolgreich abgeschlossen. ABB lieferte dafür die gesamte Energietechnik und die Steuerung. Die beiden ABB-Projektleiter und der Endkunde ziehen ein positives Fazit.

Mit Superlativen wird am Gotthard-Basistunnel nichtgegeizt: «Mit den Ventilatoren, die einen Aussendurchmesser von rund 3,5 m aufweisen, ist sie nicht nur die grösste, sondern auch die leistungsstärkste Tunnelbelüftung der Welt. Sie verfügt über eine installierte Maximalleistung von 15,6 MW – etwa so viel wie 25 Formel-1-Boliden zusammen aufweisen», sagt Alwin Larcher, der für ABB die Projektleitung im Los C der AlpTransit Gotthard AG (ATG) innehat. 2011 hatte ABB zusammen mit der deutschen TLT-Turbo GmbH den Auftrag für die Betriebslüftung erhalten. ABB zeichnete für die gesamte elektrische Ausrüstung des Systems verantwortlich, TLT als Konsortialführer für den Einbau der riesigen Ventilatoren und der zugehörigen Klappen. Dieses Grossprojekt erforderte über die Jahre hinweg intensiven Einsatz zum Zwecke der Planung, des Engineerings und der Installation. Anfang 2015 gingen ABB und TLT die finale Herausforderung an: die Inbetriebsetzung (IBS). «Im Basistunnel mit seinen gigantischen Dimensionen und dem komplexen Zusammenwirken der verschiedenen Systeme war das alles andere als eine Routinearbeit», betont Larcher.

Das beginnt schon mit den medizinischen Tests der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) hinsichtlich der Tunneltauglichkeit der Mitarbeitenden und der erforderlichen Sicherheitsschulungen durch die Tunnelbetreiber, um im längsten wie auch tiefsten Eisenbahntunnel der Welt überhaupt arbeiten zu dürfen. Stellenweise überdecken 2300 m Fels die Röhre, deren umgebende Gesteinstemperatur bis zu 46 °C beträgt. Die beiden Lüftungszentralen befi nden sich in der Schachtkopfkaverne bei Sedrun, rund 800 m im Berg und 800 m über der Fahrbahn, und bei Faido in einem Portalgebäude neben dem 2,8 km langen Zugangsstollen zur Weströhre. Die Multifunktionsstellen, die auch die Nothaltestellen umfassen, können nur über die Nord- und Südportale in Erstfeld und Bodio sowie mit dem Auto über den Zugangsstollen in Faido erreicht werden. Sie befi nden sich jeweils rund 20 respektive 17 km vom Nord- beziehungsweise Südportal entfernt. Entsprechend lange dauern die Einfahrten.

Hervorragender Ablauf der IBS

«Die Inbetriebsetzung lief wirklich hervorragend ab», blickt Larcher in die jüngste Vergangenheit zurück. Die IBS umfasste nicht nur die elektrischen Komponenten für die Ventilatoren in den Lüftungszentralen, sondern auch die Integration von deren Steuerung in das übergeordnete Leitsystem des Tunnels und beispielsweise auch den Test der Tunnelsensorik, welche mehr als 80 über die ganze Länge des Basistunnels verteilte Sensoren für Temperatur, Feuchtigkeit und Geschwindigkeit der Luft in den beiden Röhren beinhaltet. Auch eine Brandorterkennung in den vier Nothaltestellen wurde von ABB federführend integriert.

Zur erfolgreichen Inbetriebsetzung habe die minutiöse Dokumentation der Testverfahren für die installierten ABB-Komponenten viel beigetragen. «Der Wert einer genauen, gut strukturierten Beschreibung, was genau wo installiert wurde, kann in einem so grossen Gesamtprojekt mit zahlreichen beteiligten Parteien gar nicht überschätzt werden», betont Larcher.

Die Komponenten und Systeme wurden auf Herz und Nieren geprüft, in Einzeltests ebenso wie in kombinierten Tests für Lüftungsszenarien (Szenariomanager) oder mit verschiedenen Schwerpunkten, etwa zum Volumen der Luftförderung oder zur Ereignissteuerung. Spannend auch, dass die Steuerung mancher externer Systeme über die Computer der ABB-Lüftung ausgelöst wird, etwa die automatischen Türen der Notausgänge in den Nothaltestellen.

«Das Zusammenspiel all der Systeme im Basistunnel, von der Zugsicherung über das Abwassersystem, die Beleuchtung und unsere Lüftung sowie ein gutes Dutzend Systeme mehr, ist für das Funktionieren dieses Jahrhundertbauwerks ohnehin entscheidend», betont Larcher. Die Gesamtintegration wurde im August angegangen. Von Oktober an werden die weiteren integralen Tests des Gesamtsystems und aller beteiligten Systeme von der AlpTransit Gotthard AG ausgeführt. Dabei werden auch Testfahrten mit Zugkompositionen unternommen.

«Der Wert einer genauen, gut strukturierten Beschreibung, was genau wo installiert wurde, kann in einem so grossen Gesamtprojekt mit zahlreichen beteiligten Parteien gar nicht überschätzt werden.»

Würdigung durch die ATG

Lob für die gelungene Inbetriebsetzung gab es auch von der AlpTransit Gotthard AG. «Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Grossteils der Tests, welche seit Anfang 2015 durchgeführt worden sind, möchte ich mich bei allen Beteiligten für den unermüdlichen Einsatz und die Flexibilität bedanken», so Andreas Huber, Oberbauleiter Betriebslüftung/Hebeeinrichtung bei der ATG.

«Das ist insgesamt eine schöne Erfolgsgeschichte für ABB. Und als Schweizer ist man natürlich stolz, an diesem Jahrhundertbauwerk mitgewirkt zu haben», meint Larcher, der schon in Australien und im Nahen Osten komplexe Grossprojekte durchgezogen hat. Und für seinen Kollegen Ralf Rösch, Lead-Ingenieur, verantwortlich für das Leitsystem und schon seit 1994 bei ABB in der Tunnelbranche tätig, war es gar eine Herzensangelegenheit: «Als alter Tunnelbauer habe ich viel Herzblut in das Projekt gesteckt und meine Funktion als Abteilungsleiter zeitweise ruhen lassen, um mich da voll und ganz reinzuknien», sagt er schmunzelnd. Das mit dem Reinknien glaubt man den beiden aufs Wort. Das Herzblut für das Jahrhundertprojekt merkt man aber dem gesamten Projektteam an, denn das involvierte Team bei ABB wie auch bei der TLTTurbo GmbH sei über die Jahre hinweg relativ konstant geblieben, sagen beide und unterstreichen die vertrauensvolle und kooperative Zusammenarbeit innerhalb des Konsortiums.

ABB-Ingenieure bei den 3,5 m breiten Ventilatoren.

Die Lunge für den ganzen Tunnel

Zu tun gab es einiges, denn ABB und TLT schnürten für diesen Auftrag ein umfangreiches Gesamtpaket – von den 24 Strahllüftern an den beiden Tunnelportalen in Erstfeld und Bodio bis hin zu den acht grossen Zu- und Abluftventilatoren in den Lüftungszentralen Sedrun und Faido sowie den Installationen in den Multifunktionsstellen in den Tunnelröhren. Die beiden Lüftungszentralen bilden quasi die «Lunge» des ganzen Systems und sind für den Luftaustausch im Innern des Tunnels zuständig. Die Zuluftventilatoren führen – in Sedrun über einen 800 m langen, vertikalen Schacht – von aussen Frischluft zu, die über Klappen reguliert und dann im Tunnel verteilt wird. Die Abluft dagegen wird über Axialventilatoren mit bis zu 300 km/h (Luftgeschwindigkeit im Ventilator) über einen eigenen Schacht nach aussen transportiert.

Das ganze System ist aus Sicherheitsgründen redundant ausgelegt. Denn neben dem regulären Luftaustausch müssen die Ventilatoren hauptsächlich bei einem Brandereignis für ausreichend Frischluft in den Nothaltestellen sorgen und gleichzeitig den Rauch über lange Abluftschächte gezielt absaugen, damit der Reisende im Notfall aus dem Zug steigen und sich in Sicherheit bringen kann. «Das ‹Hirn› des Belüftungssystems – und damit die gesamte Programmierung – ist dabei sehr wichtig, um die Ventilatoren und die Klappen bei verschiedenen Szenarien präzise einstellen zu können», erklärt Rösch. Dieses übergeordnete Leitsystem regelt rund 50 solcher möglichen Fälle – vom Normal- und Wartungsbetrieb bis zum brisanten Ereignisfall.

«Das ist insgesamt eine schöne Erfolgsgeschichte für ABB. Und als Schweizer ist man natürlich stolz, an diesem Jahrhundertbauwerk mitgewirkt zu haben.»

Grosser Aufwand für Logistik

«Die Systeme haben bei der Inbetriebnahme bestens funktioniert. Allerdings mussten wir aus Sicherheitsgründen und wegen der sehr hohen Luftgeschwindigkeit der abgesaugten Luft unsere Tests meist nachts durchführen», erklärt Larcher. Überhaupt seien bei diesem Projekt die Logistik und die Bauplanung die grösseren Herausforderungen gewesen, galt es doch, die eigenen Arbeiten mit zahlreichen anderen Lieferanten unter Tag zu koordinieren. «Trotz minutiöser Planung im Büro mussten wir mehrere Male vor Ort schnelle Lösungen suchen. Teilweise sah es zum Beispiel auf der Baustelle ganz anders aus als vorgesehen», erinnert er sich. Schon allein die Lieferung per Bahnwagen und der Einbau der Ventilatoren mit einem Laufraddurchmesser von 2,8 m in den engen Lüftungszentralen sind eine Herausforderung gewesen.

Diesen Herbst werden die ersten Züge im Testbetrieb zum Teil mit bis zu 275 km/h durch den Gotthard-Basistunnel fahren. Mitte 2016 wird die Nord-Süd-Verbindung dann offiziell eröffnet – mit ABB als Hauptpartnerin der «Gottardo 2016» genannten Festivitäten.

 

Weitere Infos Eröffnung: www.gottardo2016.ch

ABB-Systeme für den Basistunnel

Lüftung

ABB lieferte für die 24 Strahllüfter an den beiden Tunneleingängen in Erstfeld und Bodio die Niederspannungskomponenten (Versorgung, Schaltgeräte und Sanftanlasser), die Verkabelung, die Kontrollsysteme mit AC 800M-Controllern und S800-Modulen sowie die kompakten Niederspannungsschaltanlagen. In den beiden Lüftungszentralen Sedrun und Faido installierte ABB die gesamte Mittelspannungseinspeisung mit den Schaltanlagen des Typs Unigear ZX0, inklusive Kommunikationssystemen, Instrumentierung, Sensorik und Programmierung. Für die Motoren lieferte ABB acht Trockentransformatoren Resibloc sowie die Umrichter. Die ACS 1000 treiben drehzahlgesteuert die acht Motoren an, damit diese in jedem Betriebsmodus nur so viel Energie wie unbedingt nötig verbrauchen.

 

50-Hz-Tunnelinfrastruktur

ABB lieferte die wichtigen elektrischen Komponenten für die gesamte 50-Hz-Energieversorgung der Tunnelinfrastruktur. Die gasisolierten Mittelspannungsschaltfelder vom Typ ZX0 bestehen aus kompakten 16-kV-Schaltblöcken, die im Stö- rungsfall in kürzester Zeit komplett austauschbar sind. Über 500 Schutzund Steuereinheiten REF542plus sorgen für optimale Sicherheit. Mehrere hundert vakuumimprägnierte Trockentransformatoren gewährleisten im Tunnel die Versorgung des 50-Hzsowie des Not-Netzes. Die Trockenund Öltransformatoren an den Tunneleingängen stammen ebenfalls von ABB.

 

Aufzug und Pumpsystem Sedrun

Bei Baubeginn lieferte ABB das Antriebssystem mit einem ACS 6000 und einem Synchronmotor für den Aufzug im Zwischenangriff Sedrun, der Ausbruch, Baumaterial, Personen und Maschinen befördert. Ebenfalls in Sedrun wurde das Pumpsystem samt elektrischer Anlage und Automatisierungstechnik von ABB installiert, das anfallendes Wasser 850 m nach oben abpumpt.