| 30. Oktober 2014
Einfach schalten
Schaltprozesse â Kernaufgabe der Energietechnik und gleichzeitig eine ihrer grössten Herausforderungen
Strom sicher zu schalten, ist eine Kernaufgabe der Energietechnik. Egal, auf welcher Spannungsebene und zu welchem Zweck: Wo Strom fliesst, wird geschaltet. Mit dem hybriden HGĂ-Schalter hat ABB einen Meilenstein gesetzt â er ist Teil eines Leistungsspektrums, das vom einfachen Lichtschalter bis zu gasisolierten Schaltern fĂŒr ĂŒber eine Million Volt reicht.
FĂŒr den Laien ist Schalten ein einfacher Prozess: Stromkreise verbinden oder trennen, den Strom ein- und ausschalten. Allein schon die Vielfalt der in der Energietechnik verwendeten SchaltgerĂ€te mit einer gewaltigen Bandbreite von elektrischen Kenngrössen und Anwendungen zeigt jedoch, dass die Sache nicht ganz so einfach sein kann. So schaltet ein alltĂ€glicher Lichtschalter als Lastschalter einen Strom von 10 A bei 220 V wĂ€hrend ein Leistungsschalter im Ăbertragungsnetz von China Bemessungswerte von 4000 A und 1100 kV hat â bei Dreiphasenwechselstrom entspricht das einer Nennleistung von 7600 MW. Dieser Leistungsschalter könnte innerhalb von 50 ms den gesamten Strombedarf der Schweiz ein- und ausschalten.
Schalter fĂŒr vielfĂ€ltige Aufgaben
Entsprechend den unterschiedlichen Aufgaben lassen sich die wichtigsten Schalter nach ihren spezifischen Eigenschaften einteilen:
- Lastschalter schalten GerÀte und Anlagenteile im ungestörten Zustand ein und aus. Sie sind die alltÀglichsten Schalter und werden in der Nieder- sowie Mittelspannung eingesetzt.
- Leitungsschutzschalter â umgangssprachlich: «Sicherung» â schĂŒtzen Leitungen in der Niederspannung vor Ăberhitzung, indem sie bei Ăberlast oder Kurzschluss automatisch trennen. Erfunden wurde diese Schalterart vor knapp 100 Jahren von Hugo Stotz in Heidelberg. Das von ihm gegrĂŒndete Unternehmen ist heute Teil von ABB.
- Leistungsschalter sind in gewisser Weise Sicherungsautomaten fĂŒr hohe Ströme im Mittel- und Hochspannungsbereich. ZusĂ€tzlich sind Funktionen wie Fehlerstrom- und Erdschlussschutz sowie Energiemanagement durch gezielten Lastabwurf integriert. Der wegen der hohen Leistungen unvermeidliche Lichtbogen wird durch Druckluft, Schalten im Vakuum oder in Schwefelhexafluorid-Gas gelöscht.
- Trennschalter schalten ohne Last, trennen also strom- und spannungslos. Sie schĂŒtzen das Personal bei Arbeiten an den Betriebsanlagen. In Schaltanlagen kommen Kombinationen von Schalterarten mit weiteren Systemen fĂŒr Schutz und Spannung oder Strom- und Spannungswandlern zum Einsatz.
Lichtbogen beherrschen
Auch wenn das Prinzip des Schaltens immer dasselbe ist, macht es doch einen grossen Unterschied, ob ein ganzes Kraftwerk oder eine GlĂŒhbirne vom Netz getrennt werden. Der Unterschied beruht auf physikalischen Gesetzen und ihrer Beherrschung, in diesem Fall der Beherrschung des Schaltlichtbogens: «Der Schaltlichtbogen ist auf den verschiedenen Spannungs- beziehungsweise Leistungsniveaus unterschiedlich bestĂ€ndig», sagt Christian Ohler, Leiter der Abteilung Energietechnikprodukte und -sensoren im ABB-Konzernforschungszentrum in DĂ€ttwill. «Beim Lichtschalter erlischt der Lichtbogen beim nĂ€chsten Nulldurchgang der Wechselspannung von selbst. In diesem Fall reicht die KĂŒhlleistung der Umgebungsluft, ein NeuanzĂŒnden des Bogens danach zu verhindern.»
Komplexe Technik im Sicherungsautomat
AlltÀgliche Ingenieurskunst
Nicht nur bei GerĂ€ten zum Schalten höchster Ströme und Spannungen bringen die ABB-Fachleute ihre Expertise ein. Auch ein alltĂ€glicher Leitungsschutzschalter ist ein StĂŒck anspruchsvoller Ingenieurstechnik. Bei der Entwicklung arbeiten Konstrukteure fĂŒr die mechanischen Teile und Elektrotechniker eng zusammen. Die Entwicklung einer neuen GerĂ€tegeneration dauert ungefĂ€hr drei Jahre. Eine Simulation am Computer kann bis heute nicht alles zeigen. Deshalb mĂŒssen verschiedene Elemente und Schritte möglichst einzeln getestet werden, beispielsweise das Einwandern des Lichtbogens in die Löschkammer.
Vakuum fĂŒr die Mittelspannung
Auf der Mittelspannungsebene sind hĂ€ufig Vakuumschalter das geeignete Schaltprinzip. Weltweit sind ĂŒber drei Millionen Vakuum-Schaltkammern in Betrieb, die bei ABB im deutschen Ratingen produziert wurden. Mit einer Jahresproduktion von 400 000 StĂŒck ist ABB WeltmarktfĂŒhrer. «FĂŒr die Hochspannung ist das Vakuum keine echte Alternative», sagt Christian Ohler. «Die Durchschlagfestigkeit von Hochvakuum ist zwar betrĂ€chtlich, aber in Bezug auf die FeldstĂ€rke, die es ohne Ăberschlag bewĂ€ltigen kann, existiert Richtung Hochvakuum eine SĂ€ttigungsgrenze. Ăber 72 Kilovolt wĂ€chst der erforderliche Kontaktabstand ĂŒberproportional an, womit der spezifische Vorteil eines Vakuumschalters â seine Kompaktheit â verloren geht.»
«Der HGĂ-Schalter ist der SchlĂŒssel fĂŒr die weitere Entwicklung von GleichstromĂŒbertragungsnetzen, die eine effiziente Integration von erneuerbaren Energien ĂŒber grosse Entfernungen ermöglichen.»
CO2 mit besserer Ăkobilanz
Eine Alternative zu SF 6, das als stĂ€rkstes bekanntes Treibhausgas Ă€usserst sorgfĂ€ltig befĂŒllt und kontrolliert werden muss, könnte CO2 bieten. ABB arbeitet an einer neuen Generation von Leistungsschaltern ab 72,5 kV, die mit CO2 befĂŒllt sind. «Der Vorteil des CO2-isolierten Schalters ist die bessere Ăkobilanz ĂŒber die gesamte Lebensdauer gerechnet. Die technische Funktion ist vollstĂ€ndig die gleiche wie bei Leistungsschaltern mit SF 6», sagt Christian Ohler.
Durchbruch beim Gleichstrom
Im Gegensatz zur Wechselstrom-Ăbertragung bleibt die Spannungsrichtung bei der Gleichstrom-Ăbertragung immer gleich. Damit hat der Gleichstrom keinen Nulldurchgang â und der Schaltlichtbogen stellt damit ein essentielles Problem dar. Bereits im Niederspannungsbereich ist der Schaltlichtbogen bei Gleichstromanwendungen sehr stabil. In der Hochspannung schien es ĂŒber viele Jahrzehnte nahezu unmöglich, einen Gleichstrom-Lichtbogen zu löschen â man sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem RĂ€tsel der Elektrotechnik. Doch in mehrjĂ€hriger Forschungsarbeit wurde es gelöst: Ende 2012 konnte ABB die Entwicklung des weltweit ersten Leistungsschalters fĂŒr die Hochspannungs-GleichstromĂŒbertragung (HGĂ) bekannt geben. Der Schalter kombiniert einen aus Leistungshalbleitern bestehenden Schalter mit einem ultraschnellen mechanischen Trenner â deshalb auch die Bezeichnung hybrider HGĂ-Leistungsschalter. Er kann in nur fĂŒnf ms Gleichstrom unterbrechen, der der Leistung eines Grosskraftwerks entspricht.
Der hybride HGĂ-Leistungsschalter ist einer der SchlĂŒssel fĂŒr die weitere Planung von GleichstromĂŒbertragungsnetzen, die eine effiziente Integration von erneuerbaren Energien ĂŒber grosse Entfernungen ermöglichen. Unter anderem musste bisher bei HGĂ-Systemen zur Beherrschung eines Fehlers auf der Ăbertragungsstrecke das Gesamtsystem einschliesslich der Konverterstationen abgeschaltet und der Leistungsschalter auf der Drehstromseite geöffnet werden. Dieser relativ langwierige Vorgang ist dann kritisch zu sehen, wenn die GleichstromĂŒbertragung in Zukunft ein wichtiger Teil des vermaschten Ăbertragungsnetzes werden wird. Der hybride HGĂ-Leistungsschalter beseitigt diesen kritischen Punkt und sorgt auf der Gleichstroseite dafĂŒr, dass die Konverterstationen bei einem kurzzeitigen Fehler â beispielsweise durch Blitzeinschlag in eine Freileitung â weiter am Netz bleiben und damit durchgĂ€ngig Systemdienstleistungen erbringen können.
Doch nicht nur der kontinuierliche Betrieb von Konverterstationen wird durch den HGĂ-Leistungsschalter ermöglicht. «Der nĂ€chste logische Schritt besteht nun darin, die Planungen der aktuellen HGĂ-Projekte so vorzubereiten, dass man die einzelnen Gleichstrom-Ăbertragungssysteme zu einem Gleichstromnetz erweitern kann», sagt Raphael Görner, Leiter Marketing und Vertrieb fĂŒr den GeschĂ€ftsbereich Grid Systems bei ABB in Mannheim. Die Interaktion zwischen Gleichstrom- und Drehstromnetzen kann heute schon in einem von ABB eingerichteten Simulationszentrum in Echtzeit simuliert und getestet werden. FrĂŒhzeitig können die Beteiligten so Erkenntnisse fĂŒr den spĂ€teren Betrieb gewinnen. «GrundsĂ€tzlich ist mit der Entwicklung der selbstgefĂŒhrten HGĂ vor mehr als 15 Jahren und dem von uns 2012 vorgestellten hybriden Leistungsschalter nun die Basis geschaffen, eine effiziente und zukunftssichere Gleichstrom-Infrastruktur zu realisieren», so Görner.
In Weltrekordgeschwindigkeit
In Sachen Schaltgeschwindigkeit setzt ABB mit dem ultraschnellen Erdungsschalter vom Typ UFES auf der Mittelspannungsebene seit 2010 neue MassstĂ€be: Angetrieben durch einen Mikro-Gasgenerator â Ă€hnlich dem Funktionsprinzip, nach dem auch Airbags in Kraftfahrzeugen ihre lebensrettende Wirkung entfalten â benötigt das UFES-PrimĂ€rschaltelement (PSE) weniger als 1,5 ms fĂŒr den schĂŒtzenden Schaltvorgang. Die PSE werden in kĂŒrzester Zeit durch die UFES-Elektronik ausgelöst, die den Störlichtbogenfehler ĂŒber die Fehlerkriterien Ăberstrom und Licht erfasst. Nach der elektronischen Ansteuerung erzeugt der Mikro-Gasgenerator einen schlagartigen Druckanstieg innerhalb des ihn umgebenden Volumens im Antriebskolben und treibt diesen samt beweglichem Kontakt ĂŒber die Schaltstrecke in die Festkontaktseite. Die PSE stellen eine 3-phasige Kurzschlusserdung her und sorgen gemeinsam mit der schnellen Elektronik dafĂŒr, dass der UFES einen Störlichtbogen in weniger als vier ms nach seiner Erfassung verlöscht â das ist Weltrekord in der Mittelspannung.
In der Praxis reduziert diese extrem kurze Schaltzeit die wesentlichen GefĂ€hrdungen fĂŒr Personen und Anlagen auf ein Minimum. «Thermische und mechanische SchĂ€den an der Schaltanlage können wir nahezu ausschliessen», sagt Andreas Beinat, Head of Sales & Market Management Mittespannungsprodukte ABB Schweiz. «Die Druckspitze innerhalb der Schaltanlage wird ĂŒblicherweise in 10 bis 15 ms nach dem Entstehen des Störlichtbogens erreicht, ab 100 ms sind thermische SchĂ€den an der Anlage zu erwarten. Der UFES reagiert im Fehlerfall so schnell, dass diese kritischen Grenzen nicht erreicht werden.»
Das kompakt aufgebaute SchaltgerĂ€t ist prinzipiell in jeder neuen oder bereits installierten, kurzschlussfesten Schaltanlage mit Bemessungsspannungen bis 40,5 kV und Bemessungs-Kurzzeitströmen bis 63 kA (1 s) einsetzbar. «Mit dem UFES haben wir ein SchutzgerĂ€t im Portfolio, das Herausragendes leistet. Die Motivation der einzelnen Kunden fĂŒr den Einsatz dieses aktiven Störlichtbogenschutzes ist hierbei ganz unterschiedlich. Generell profitieren jedoch alle von einem deutlich erhöhten Personen-, Anlagen- und GebĂ€udeschutz sowie von einer signifikanten Kostenreduzierung im möglichen Fehlerfall», so Beinat. «Eine ganz wesentliche Rolle spielt auch, ob Ausfallzeiten besonders kritisch sind â da sind die höchstens zwei Stunden, die der Austausch der UFES-PrimĂ€relemente nach einer Auslösung ĂŒblicherweise dauern wĂŒrden, ein starkes Argument.»
Interview
«Fehlerfrei ist ökonomisch unsinnig»
Herr Professor Franck, was sind Meilensteine in der Entwicklung des Schaltens?
Der Wechsel des Isoliermediums von Ăl auf Druckluft und spĂ€ter auf SF6, ebenso die Entwicklung der Blaskolben- und Selbstblasschalter sind â wie die ersten Vakuumschalter in den 1960ern â wichtige Meilensteine. Nicht nur die Unterbrechereinheit selbst, auch die Dichtungen, der Antrieb und das Schutzsystem sind immer zuverlĂ€ssiger und kompakter geworden.
Welche Forschungsziele stehen heute im Fokus?
Die Suche nach einer Alternative zu SF 6 beschĂ€ftigt die Forscher. Hier geht die Reise in Richtung Alternativgase und Vakuumschalter. Die Vorteile von HGĂ zur Einbindung von erneuerbaren Energien oder fĂŒr den verlustarmen Transport ĂŒber grosse Distanzen haben das Forschungsinteresse an HGĂ-Netzen verstĂ€rkt.
Wie hÀngt unsere LebensqualitÀt davon ab, elektrischen Strom sicher zu schalten?
Unser Leben basiert auf zuverlĂ€ssigen Energiesystemen. Da es ökonomisch unsinnig wĂ€re, fehlerfreie Komponenten zu fordern, mĂŒssen wir die wenigen Fehler kontrollieren. Hier kommen leistungsfĂ€hige Schalter ins Spiel: Sie schĂŒtzen die elektrischen Ăbertragungsnetze von heute und morgen.