Fokus | 30. April 2014
Wenn Gebäude denken lernen
Systemtechnik sorgt für Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit
Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit – diese Aspekte sind bei der Gebäudeautomation im Fokus. Die Entwicklung verläuft rasant. Wo Automatisierungslösungen bis vor wenigen Jahren noch als exotisch galten, wird die Technik in Zukunft alltäglich sein und sich immer besser auf uns Menschen einstellen.
Die Megathemen Energiewende, Klimaschutz und Urbanisierung sind immer auch mit einem stärkeren Einsatz der Gebäudeautomation verknüpft. Intelligente Gebäude sind keine Science-Fiction mehr, Smart Homes werden Realität. Die Bedeutung der Gebäudeautomation hat mit Google auch der grösste Datenverarbeiter der Welt erkannt: Vor wenigen Monaten hat der Konzern aus Mountain View angekündigt, für 3,2 Milliarden US-Dollar den Thermostathersteller Nest Labs zu kaufen. Der Weg von Forschung und Entwicklung führt längst hin zu intelligenten Städten, in denen Energieerzeugung und Energieverbrauch miteinander interagieren. Ein intelligentes Netz – Smart Grid – fungiert als Bindeglied. Die Aktualität dieser Entwicklung hat sich auf der Light + Building im Frühling 2014 gezeigt, der Weltmesse für Architektur und Technik in Frankfurt:
«Smart Powered Building – das Gebäude im Smart Grid» ist in diesem Jahr eines der drei Top-Themen.
Gewaltige Energieeinsparungen
Die Automatisierung von Gebäuden verfolgt drei zentrale Aspekte: Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit. Gebäudeautomation ermöglicht massive Energieeinsparungen, erleichtert den Nutzern das Leben und sorgt für Gebäudesicherheit. Stehen bei der Automatisierung von öffentlichen Gebäuden, Industriegebäuden und anderen Zweckbauten die erzielbaren Energieeinsparungen und Flexibilität im Vordergrund, sind es bei Privatgebäuden der erhöhte Wohnkomfort, die Sicherheit der Bewohner und die Möglichkeit, mehrere Wohnsitze überwachen zu können. Trotz knapper werdender Ressourcen und immer höherer Energiepreise stieg der Verbrauch von elektrischer Energie in gewerblich genutzten Gebäuden in Europa seit 1990 um nahezu 80 Prozent. Dabei sehen Fachleute in der Steigerung der Energieeffizienz durch Gebäudeautomation ein grosses, relativ leicht auszuschöpfendes Potenzial: «Über 20 Prozent Einsparung sind durch ein kontinuierliches Energiemonitoring in Gebäuden in der Praxis in vielen Anwendungen gut zu erreichen. Voraussetzung ist, dass die bereits heute vorhandenen Technologien und Werkzeuge richtig eingesetzt, im laufenden Betrieb kontinuierlich genutzt und immer wieder an den aktuellen Nutzen oder Bedarf angepasst werden», sagt Professor Dr.-Ing. Martin Becker vom Institut für Gebäude und Energiesysteme (IGE) der Hochschule Biberach. «Wichtig ist, dass Energiemanagement nicht als Selbstläufer, sondern als Regelkreis betrachtet wird, der ständig im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Kreislaufes optimiert werden muss.» Deshalb seien insbesondere bei Nicht-Wohngebäuden und im industriellen Umfeld, in dem sich die Nutzer normalerweise für den Gebäudebetrieb nicht verantwortlich fühlen, die Energieeinsparpotenziale durch eine entsprechende Gebäudeautomation signifikant.
KNX kann sich schnell amortisieren
Um über ein Energiemonitoring die Energieflüsse im Gebäude transparent machen und bewerten zu können, ist KNX die geeignete Technologie. Zur Messung des Stromverbrauchs hat ABB Energieverbrauchszähler entwickelt, deren Zählerwerte über Gateways in das KNX-Netzwerk des Gebäudes eingebunden werden. Eine noch detailliertere Messung erlauben der ABB i-bus KNX Energieaktor und das Energiemodul. Diese Geräte können die elektrischen Kennwerte und den Energieverbrauch jedes einzelnen Verbrauchers erfassen.
«Die Steigerung der Energieeffizienz durch Gebäudeautomation ist sowohl technisch als auch wirtschaftlich interessant», erläutert Reiner Hoffmann, Leiter Verkauf Niederspannungsprodukte bei ABB Schweiz. «Eine intelligente und vernetzte Raum- und Gebäudeautomatisierung, wie sie der ABB i-bus KNX unterstützt, amortisiert sich in kommerziell genutzten Gebäuden je nach Anlagentyp bereits nach drei bis fünf Jahren. Dagegen rechnen sich bauliche Massnahmen wie Dämmung oder der Einbau neuer Wärmeschutzfenster erst nach sehr viel längerer Zeit. Durch die schnellere Amortisation und die grosse Flexibilität des KNX können Investoren, die auf Gebäude-Systemtechnik setzen, ihre Gebäude flexibel an geänderte Nutzungsanforderungen anpassen und profitieren so zusätzlich noch vom technologischen Fortschritt.»
Nach Untersuchungen der EU stellt die Beleuchtung in gewerblich genutzten Gebäuden nach wie vor den grössten Einzelverbraucher elektrischer Energie dar. Bei der Beleuchtung reduziert eine Konstantlichtregelung den Energieverbrauch deutlich. Ein Helligkeitssensor misst die Beleuchtungsstärke. Diesen Wert vergleicht ein Lichtregler mit der gewünschten Helligkeit im Raum und berechnet aus der Differenz die erforderliche Ansteuerung der Leuchtmittel. Somit wird nur die Energie eingesetzt, die zusätzlich zum natürlichen Tageslicht notwendig ist. Eine präsenzabhängige Steuerung der Beleuchtung bringt einen zusätzlichen Effekt. Die erzielbaren Einsparungen durch eine präsenzabhängige Konstantlichtregelung liegen erfahrungsgemäss im Bereich von 30 bis 40 % gegenüber einer manuellen Lichtsteuerung. In einer ähnlichen Grössenordnung liegt das Einsparpotenzial einer intelligenten Jalousiesteuerung, hier in Bezug auf die elektrische Energie, die für die Kühlung des Gebäudes benötigt wird.
Beitrag zur Energiestrategie 2050
«Generell gilt, dass wir messen müssen, was wir verbessern wollen. Energietransparenz erreichen wir durch messen, Energieeffizienz durch steuern», sagt Hoffmann. Zu den Zielen der Energiestrategie 2050 der Schweiz könne die Gebäudeautomation einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten: «Wir sollten Energie nur dann verbrauchen, wenn sie wirklich benötigt wird – und nur jene Menge an Energie beziehen, die Sinn ergibt.» Das lässt sich mit der Gebäudeautomation konsequent umsetzen. Sie schaltet beispielsweise das Licht aus, wenn niemand im Raum ist, und sie steuert Kunstlicht nur in der nötigen Helligkeit bei.
Systemtechnik von ABB kommt seit mehr als 20 Jahren in Bürogebäuden, Schulen, Hotels, aber auch in Flughäfen oder Fussballstadien zum Einsatz. Es hat sich gezeigt, dass die Immobilien mit der ABB i-bus KNX Gebäudesystemtechnik sehr energieeffizient betrieben werden können.
In Zusammenarbeit mit der Hochschule Biberach hat ABB das Einsparpotenzial der automatischen Beleuchtungs- und Jalousiesteuerung aus den Angaben der Norm DIN EN 15232 ermittelt und die wissenschaftlich fundierten Ergebnisse in ein Softwaretool umgesetzt. Dieses Onlinetool berechnet wahlweise für ein Hotelzimmer, ein Klassenzimmer oder ein Einzelbüro die Einsparungen gegenüber einer konventionellen Installation. Das Tool ist unter der URL www.abb.com/knx gratis verfügbar.
Intelligenter Komfort zu Hause
Während in Zweckbauten die Energieeffizienz im Fokus steht, bestimmen Fragen des Komforts und der Sicherheit die Ausstattung eines privaten Raums. «Damit intelligente Gebäudeautomation verstärkt im Wohnungsbau eingesetzt wird, muss der private Bauherr den Mehrwert der Gebäudeautomation erkennen und bereit sein, dafür zu investieren», so Hoffmann. «Das Wohnzimmer ist pünktlich angenehm warm, das Schlafzimmer kühl, das Licht passt wie von selbst zur Situation und die Jalousien öffnen und schliessen sich passend zum Wetter – zu dieser Idealsituation wollen wir mit einer intelligenten Gebäudevernetzung beitragen.» Heute sei Automation hauptsächlich im gehobenen Segment des Wohnungsbaus ein Thema – vergleichbar mit Oberklasse-Fahrzeugen, die mit viel zusätzlicher Elektronik ausgestattet sind. Das Preis-Leistungs-Verhältnis werde sich verbessern und gemeinsam mit dem Energieeinsparpotenzial werde sich Gebäudeautomation auch im privaten Bereich etablieren. «Das Interesse und das Bedürfnis sind vorhanden, der Trend wird sich durchsetzen», zeigt sich Hoffmann überzeugt.
Wichtig dafür ist neben dem Preis auch eine einfache Bedienbarkeit. «Ein System ist nur so gut wie seine Akzeptanz beim Benutzer. Dort muss man ansetzen, wenn man das breite Publikum erreichen möchte.» Eine Gebäudeautomation, die nur ein IT-Fachmann nutzen kann, hat am Markt keine Chance. «Selbstverständlich kann die Integration, die Vernetzung der Bereiche nur durch Fachleute umgesetzt werden. Doch nach der Inbetriebsetzung muss die Steuerung für den Benutzer mit modernen User-Interfaces so einfach und intuitiv wie die Nutzung seines Smartphones sein.»
ABB zählt zu den führenden Herstellern innovativer Produkte auf dem Gebiet der Hausautomatisierung. Auf das ansprechende Design wird ebenso Gewicht gelegt wie auf die Funktionalität. Mit ABB priOn, einer dezentralen Raumsteuereinheit, überwachen und regeln die Bewohner den gesamten Raum. Das Gerät verfügt über ein TFT-Display und einen Drehregler zur intuitiven Navigation durch das Menü. Das ComfortPanel von ABB bildet die bedienungsfreundlich gestaltete Schnittstelle zur kompletten Haustechnik. Das grosszügig bemessene TFT-Display erleichtert die Steuerung aller elektrotechnischen Anwendungen im Smart Home – von programmierten Lichtszenen bis zur Kameraüberwachung und zur Anwesenheitssimulation. Gleichzeitig ist es auch noch Entertainment-Center und Kommunikationszentrale.
Auf der Messe Light+Building in Frankfurt hat ABB in diesem Frühling zudem ihre neue KNX-Gefahrenmelderzentrale GM/A 8.1 präsentiert. Es handelt sich um die erste Alarmanlage, die vollständig in den weltweiten KNX-Standard (ISO/IEC 14543-3-x) integrierbar ist und gleichzeitig die internationalen Normanforderungen der Alarmtechnik (ISO/IEC 62642) vollständig erfüllt. Die Gefahrenmelderzentrale ist universell einsetzbar zur Überwachung aller Gefahren im Gebäude vom Einbruchschutz über die Überfallalarmierung bis hin zur Überwachung von technischen Gefahren wie Rauchentwicklung oder Leckagen bei Gas- oder Wasserleitungen.
« Wir müssen messen, was wir verbessern wollen. Energietransparenz erreichen wir durch messen, Energieeffizienz durch steuern. »
Smart Homes im Smart Grid
In Zukunft wird sich das Smart Home in intelligente Netze, sogenannte Smart Grids, einfügen. So kann das KNX-System des Haushalts nicht nur die aktuellen Verbrauchsdaten und entsprechende Vergleichsdaten anzeigen, sondern wird zusätzlich mit dem Smart Grid des Energieversorgers kommunizieren, den aktuellen Strompreis anzeigen und die Empfehlung geben, Verbraucher entweder ein- oder auszuschalten. Nächster Schritt ist ein System, mit dessen Hilfe Elektrogeräte nach zuvor definierten Tarif-Grenzwerten ein- oder ausgeschaltet werden: Ist gerade viel Strom im Netz, der Preis also niedrig, schaltet sich beispielsweise der Geschirrspüler automatisch ein. Wenn die Haushalte selbst Energie erzeugen – durch eine Photovoltaikanlage – wachsen die Fragen und die Komplexität: Wie viel Strom erzeugt die Anlage gerade? Wie hoch ist der aktuelle Gesamtverbrauch im Haus? Was kostet die Kilowattstunde und wie wird sich der Preis voraussichtlich entwickeln? Bereits heute bietet ABB Systeme an, die diese Daten erfassen, übertragen sowie analysieren und damit das Stromnetz stabilisieren können.
«Die intelligente Steuerung von Gebäuden wird im Rahmen der Schweizer Energiestrategie 2050 an Bedeutung gewinnen», so Martin Näf, Experte für intelligente Stromnetze am ABB-Konzernforschungszentrum in Baden-Dättwil. «Solange nur einige hundert Solarzellen auf dem Dach montiert sind, ist das für das Stromnetz kein Problem. Aber wenn wir zehn oder 20 % Energie aus Wind und Sonne wollen, sieht die Aufgabe ganz anders aus.» Gebäude werden sowohl Energieerzeuger als auch -verbraucher sein. «Daher werden die Gebäude der Zukunft zu einer intelligenten, aktiven Komponente der Energieinfrastruktur», hält Näf abschliessend fest.
Erfolgreiche Zehnkämpfer
Ein Highlight der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und ABB Schweiz sowie ABB Deutschland ist der Solar Decathlon. Im Rahmen des interdisziplinären Wettbewerbs planen und errichten Studententeams energieeffiziente Gebäude. «Über die zweijährige Projektzeit haben insgesamt 120 Studierende aller Fakultäten in unserem Team mitgemacht – angehende Architekten, Bauingenieure, Elektrotechniker, Informatiker und Maschinenbauer, aber auch Wirtschafts-, Sozial- und Kommunikationswissenschaftler», erläutert Professor Thomas Stark, der das Team der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz in Madrid 2012 betreut hat. Das Team konnte zwei der zehn Wertungen für sich entscheiden – darunter als wichtigste die für das technische Gesamtkonzept – und belegte insgesamt den vierten Platz. «Das Zusammenspiel von Lehre, Praxis und Forschung in einem konkreten Projekt und die Kooperation mit Partnern wie ABB hat unseren Studierenden sehr positive und wertvolle Erfahrungen vermittelt», sagt Professor Stark, der für das Projekt mit dem Landeslehrpreis in Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde. Das Wettbewerbsgebäude Ecolar zeichnet sich durch eine Hülle aus, bei der der klassische Baustoff Lehm vermischt mit Paraffinkügelchen und Thermohanf zum Einsatz kommt und Hybridsolarmodule Teil des passiven Kühlsystems sind. «Unser Ansatz ist, die natürlich vorhandenen Potenziale zwischen Tag und Nacht, Luft und Erde oder Schatten und Sonne für die passive Nutzung einzusetzen», sagt Professor Stark. «Das funktioniert nur mit einer leistungsfähigen Gebäudeautomation. Die Systemtechnik des Ecolar hat ungefähr die Dimension eines mittelgrossen Flughafens, ist aber auch schon auf die zukünftige Nutzung als Forschungsgebäude ausgelegt. Die Stärke der Gebäudeautomation ist, dass sie Energieströme transparent macht und wir daraus Handlungsmöglichkeiten ableiten können. Die Leitzentrale muss das Innere des Hauses und das meteorologische Drumherum kennen und dann Signale an die Aktoren geben. Energieeffizienz erreichen wir, weil wir die technischen Komponenten abhängig vom Nutzerverhalten und Klima steuern können.»