Interview | 23. Oktober 2015
«Die Ambition, der Beste zu sein»
Professor Hermann Simon gilt als Doyen der Forschung zum ökonomischen Phänomen der Hidden Champions
Im Interview erläutert er, nach welcher Erfolgsformel die Hidden Champions ihre Spitzenleistungen erbringen und mit welchen Mitteln die Elite des Mittelstandes in Deutschland und der Schweiz ihre Position auch in Zeiten der Globalisierung bewahren wird.
Mit welchen Qualitäten erreichen Hidden Champions ihre guten Ergebnisse?
Professor Hermann Simon: Es kommt vor allem auf drei Dinge an. Erstens, die Ambition, der Beste in seinem Markt zu sein – und zwar weltweit. Das ist der Anspruch auf Marktführerschaft. Zweitens Fokussierung! Denn nur durch Fokussierung wird man Weltklasse. Fokus, etwa auf Hunderollleinen, macht aber einen Markt klein. Wie macht man ihn gross? Und hier kommt der dritte Faktor ins Spiel, nämlich die Globalisierung! Global betrachtet sind alle Märkte gross, jedenfalls relativ zu den Möglichkeiten von Mittelständlern. Um bei den Hunderollleinen zu bleiben. Flexi, mit 70 % globalem Marktanteil in 100 Ländern die klare Nummer 1, sagt: «Wir machen nur eins, aber das machen wir besser als alle anderen.»
Welche Rolle spielen Hidden Champions für die Wettbewerbsstärke der Volkswirtschaft?
Eine entscheidende! Sie tragen etwa ein Viertel zum Export Deutschlands und der Schweiz bei. Sie sind wesentlich innovativer als Grossunternehmen. Das zeigt sich an der Zahl der Patente pro 1000 Mitarbeiter: Bei den Hidden Champions sind es 31, bei Grossunternehmen sechs. Nimmt man den Weltmarktanteil als schärfstes Kriterium der Wettbewerbsstärke, dann fällt die Antwort ebenfalls eindeutig aus: Viele Hidden Champions haben Weltmarktanteile von 60, 70 oder 80 %.
Welche besonderen Anforderungen stellt die immer stärkere Globalisierung an die Hidden Champions in Mitteleuropa?
Die Internationalisierung des Führungspersonals ist eine grosse Herausforderung für die Hidden Champions. Oft liegt hier und nicht im Kapital der begrenzende Faktor einer schnelleren Globalisierung. In dieser Hinsicht sind Grossunternehmen ohne Zweifel weiter. Sie können aus einem grossen Pool von international erfahrenen Managern schöpfen. Die Hidden Champions müssen diese Ressource erst entwickeln. Das dauert. Umgekehrt ergeben sich daraus Chancen für ambitionierte Nachwuchskräfte. Bei den Hidden Champions wächst man sehr schnell in die Verantwortung hinein – vor allem auch im internationalen Umfeld.
Welche Risiken beinhaltet die Fokussierung auf ein Spezialfeld?
Durch die Fokussierung auf einen Markt wird ein Unternehmen natürlich von diesem Markt abhängig. Definiert man den Markt vom Bedürfnis her – das meines Erachtens einzig sinnvolle Vorgehen –, dann verschwinden allerdings nicht so viele Märkte. Und bei dem zweiten Risiko, nämlich der Gefahr, von der Konkurrenz verdrängt zu werden, hilft die Fokussierung. Denn sie führt dazu, dass ein Unternehmen seinen Markt mit aller Kraft verteidigen muss.
Welche besonderen Bedürfnisse haben Hidden Champions?
Sowohl auf der Lieferanten- als auch der Kundenseite beobachte ich sehr langfristige Beziehungen. Die Komplexität erfordert eine dauerhafte Zusammenarbeit. Anbieter und Kunde müssen ihre Geschäfte jeweils sehr gut kennen. Und natürlich sind die Anforderungen der Kunden hoch. Diese Gegebenheit wird aber gleichzeitig zum Leistungstreiber. Mir sagte ein Hidden-Champion-Chef, er wolle nur die 30 besten Unternehmen der Welt als Kunden. Seine Begründung: «Diese Kunden sind nie zufrieden, fordern immer neue Verbesserungen. Das wird für uns zum Leistungstreiber. Solange ich diese Top-Kunden bediene, kann mir nichts passieren.»
Welche Mentalitätsunterschiede zwischen Grossunternehmen und Hidden Champions sind zu berücksichtigen?
Einer der wichtigsten Unterschiede besteht in der Art der Führung. Die Führung der Hidden Champions ist ambivalent, nämlich autoritär in den Grundwerten, jedoch partizipativ und flexibel in den Details der Ausführung. Bei den Grundwerten, den Prinzipien, den Prioritäten gibt es keine Diskussion; sie werden von oben «diktiert». Hingegen hat der Mitarbeiter in der Ausführung wesentlich mehr Freiheit als in Grossunternehmen. Es ist nicht alles geregelt; es gibt weniger Handbücher oder ähnliches. Das setzt natürlich Mitarbeiter voraus, die entsprechende Kompetenzen besitzen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
In welcher Weise wird sich das Geschäft der Hidden Champions in den kommenden Jahren wandeln?
Das Geschäft der Hidden Champions wird vor allem noch globaler und internationaler werden. Den Grossteil ihrer Umsätze erzielen die Hidden Champions bereits heute ausserhalb Europas. Seit etwa 2011 beschäftigen sie mehr Mitarbeiter im Ausland als im Heimatmarkt. In den vergangenen Jahren hat eine Erweiterung der F&E-Kapazitäten in Richtung Schwellenländer stattgefunden. Hingegen steht die Internationalisierung des Managements erst am Anfang. Derzeit dürften erst etwa 2 % der deutschen Hidden Champions einen nichtdeutschen CEO haben. Bei den deutschen Grossunternehmen sind es etwa 20 %. Natürlich werden einige der heutigen Hidden Champions ihre marktführende Stellung verlieren, aber die meisten dürften an der Spitze bleiben. Ihre Kompetenzen sind so spezifisch und gleichzeitig sind die Märkte so klein, dass sie – anders als etwa der Markt für autonom fahrende Autos – für die Googles und Apples dieser Welt eher uninteressant sind.
Doyen der Hidden Champions
Professor Hermann Simon hat vor über 25 Jahren die systematische Forschung zu Hidden Champions begründet und gilt als Doyen dieses Themengebiets. Er lehrte an den Universitäten Mainz und Bielefeld, war Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), an der Harvard Business School, der London Business School sowie am INSEAD in Fontainebleau und ist heute Chairman von Simon-Kucher
& Partners. Hermann Simon schreibt zudem als regelmässiger Kolumnist im manager magazin. Im Jahr 2012 erschien aus seiner Feder das Buch «Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia».