Interview | 28. Februar 2020
KI – wie schlau sind Maschinen heute?
INTERVIEW MIT CHRISTOPHER GANZ
Dr. Christopher Ganz leitet das «Strategic Solutions & Standards» -Team bei ABB Future Labs, um künftige Trends zu identifizieren, die das ABB-Portfolio beeinflussen werden, und diese in Innovationsprojekte in ABB Future Labs einzubringen. Industrielle KI und Autonome Industrielle Systeme sind zwei dieser Trends. Er hat an der ETH Zürich promoviert.
«Künstliche Intelligenz» klingt für Laien immer ein bisschen nach Science-Fiction – was genau können wir uns heute darunter vorstellen?
Künstliche Intelligenz – KI – ist die Fähigkeit von Maschinen, Informationen aufzunehmen, in Form von Wissen zu speichern und anzuwenden, um Situationen zu beherrschen, die bei der Programmierung der Maschine nicht genau bekannt waren. Die Komplexität dieser beherrschbaren Situationen nimmt mit zunehmender Rechenkapazität der Computer zu. Damit ist eine Lösung, die vor 20 Jahren als «intelligent» bezeichnet wurde, etwa am Computer Schach zu spielen, heute eine selbstverständliche Standardfunktionalität.
Was strebt ABB mit KI an?
KI ist eines der Werkzeuge, die wir in der Industrie anwenden, um Probleme zu lösen. Deshalb sprechen wir vorzugsweise von «industrieller Künstlicher Intelligenz». Sie dient etwa der Mustererkennung in Messdaten, um frühzeitig problematische Entwicklungen zu erkennen.
In welchen konkreten Anwendungen setzt ABB «industrielle KI» ein?
Industrielle KI von ABB überwacht zum Beispiel die Kompressor-Lastverteilung in grossen Anlagen und schlägt eine optimierte Lastverteilung zwischen den Maschinen vor. Durch den Einsatz von Deep-Learning-Techniken und Cloud-Tracking prognostiziert KI von ABB auch die kurzfristige Solarstromleistung bei einer sich stetig verändernden Wolkendecke.
Welche weiteren Ziele verfolgt ABB mit KI?
ABB sieht das Potenzial ihrer industriellen KI im Bereich autonomer industrieller Anlagen, die eine grössere Vielfalt von auftretenden Situationen behandeln können. In KI führend zu sein, heisst, wettbewerbsfähiger zu sein. Wir hoffen daher, mithilfe von KI einen Schritt vorwärts zu machen, auch in der Schweiz.
Wo arbeiten die Schweizer KI-Experten?
Das Schweizer ABB-Konzernforschungszentrum in Baden-Dättwil verfügt über ein hervorragendes Team von Forschenden auf diesem Gebiet. Sie bilden das Team der «Future Labs», eine von global drei Institutionen dieser Art zur Weiterentwicklung von KI in unserem Unternehmen.
Inwiefern gibt es Kooperationen mit Schweizer Universitäten und Start-ups?
KI wird primär von gut ausgebildeten Fachleuten vorangetrieben. Die sind in der Schweiz vorhanden – oder kommen gerne in die Schweiz, weil hier die Rahmenbedingungen stimmen. Das ist auch der Grund, weshalb sich viele Technologiefirmen hierzulande angesiedelt haben. ABB pflegt traditionell gute Beziehungen zu den Eidgenössisch Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne sowie zu den Fachhochschulen, mit denen die Forschenden in intensivem Austausch stehen. Und die «ABB Technology Ventures» werfen stetig ein Auge auf die Start-ups in der Schweiz, die sich im Bereich der KI engagieren. Was sind die derzeitigen Grenzen von KI? KI braucht grosse Mengen von Daten, um daraus Modelle zu bilden. Oftmals sind diese Daten nicht in ausreichender Qualität vorhanden. Auch kann KI nur Effekte reproduzieren, die in den Daten erkennbar waren. Falls ein Bilderkennungssystem mit Bildern von Windrädern trainiert wurde, wird es nie ein Schiff erkennen. So weit, dass eine KI problematische Situationen wahrnehmen kann, sind wir ebenfalls noch nicht. Zudem können wir nicht immer nachvollziehen, warum genau ein KI-System eine bestimmte Schlussfolgerung getroffen hat. Wo Sicherheit eine wichtige Rolle spielt, ist ein Einsatz von KI meist nicht ohne menschliche Unterstützung möglich. An vielen Stellen ist die Fähigkeit des Menschen, eine Situation auszuwerten, unübertroffen. Deshalb sollte nicht alles der KI überlassen werden. Insgesamt ergibt ein Zusammenspiel von KI, Menschen und Automationslösungen Sinn.
Eine grosse Frage steht im Raum: Wird die künstliche unsere menschliche Intelligenz überholen?
Als die ersten Taschenrechner aufkamen, stellte man sich diese Frage auch schon. Maschinen können heute schon auf vielen Gebieten sehr viel mehr als Menschen, insbesondere wenn es um die Verarbeitung grosser Datenmengen geht. Wenn es jedoch darum geht, kreativ zu sein, komplexe Schlussfolgerungen zu ziehen oder unbekannte Situationen mit «gesundem Menschenverstand» anzugehen, ist der Mensch immer noch unerreicht. Der Roboter, der sich seines «Ichs» bewusst ist und menschenähnliches Verhalten zeigt, ist derweil mit den heutigen Technologien nicht erreichbar. Ich frage mich auch, ob wir uns dies in der Industrie tatsächlich zum Ziel nehmen sollten – oder ob wir uns darauf konzentrieren sollten, Systeme zu bauen, die eingeschränktere Aufgaben handhaben können, diese aber optimal.