Interview | 19. Januar 2017

«Das Umdenken ist eine enorme Herausforderung»

Prof. Dr. Armin Grunwald im Interview

Wie bewerten Sie die Risiken der Energiewende angesichts unserer AbhÀngigkeit vom Strom?

Das ist ein Dilemma. Bislang hat das System die Abschaltungen von Kernkraftwerken gut ausgehalten, doch es steht viel stĂ€rker unter Druck als frĂŒher und die Netzbetreiber mĂŒssen hĂ€ufiger eingreifen, um es stabil zu halten. Da die Energiewende beschlossen ist, mĂŒssen wir mit den Folgen umgehen und auf technischer und organisatorischer Seite Lösungen zur StabilitĂ€tssicherung suchen. Hier ist auf vielen Ebenen Forschung und Entwicklung gefragt, von der Technik bis hin zu neuen Modellen der Organisation und der Verteilung von Verantwortung.

Welche Möglichkeiten zur Systemstabilisierung gibt es?

Die grösste Herausforderung sind die fluktuierenden EnergietrĂ€ger. Das System muss so aufgebaut werden, dass Energie genau dann verfĂŒgbar ist, wenn sie gebraucht wird. Es muss also insgesamt grösser werden, denn so sinkt das Risiko, dass ĂŒberall gleichzeitig kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. DafĂŒr benötigen wir aber Möglichkeiten, Strom schnell zum Beispiel zwischen Nord- und SĂŒdeuropa zu transportieren. Gefragt sind zudem leistungsfĂ€hige Speicher fĂŒr grosse Strommengen, die aber noch nicht zur VerfĂŒgung stehen. DarĂŒber hinaus gibt es Projekte zum Demand-Side-Management, also zur Flexibilisierung und gezielten Steuerung der Stromnachfrage, um auf schwankende Einspeisemengen zu reagieren. Wichtig sind zudem Inseln im System, die auch in Problemsituationen stabil gehalten oder nach einem Blackout schnell wieder hochgefahren werden können. Von dort aus liessen sich die jeweiligen Umgebungen mit zentralen Dienstleistungen versorgen.

Welche Rolle spielt die ElektromobilitÀt in diesem Zusammenhang?

Die ElektromobilitÀt ist ein wichtiger Bestandteil der Energiewende. Im Moment spielt sie noch keine Rolle, doch wenn mehr Elektroautos unterwegs sind, brauchen wir sehr viel mehr Strom als heute. Das erhöht die Anforderungen an die sichere Versorgung ganz betrÀchtlich.

Worin sehen Sie die grösste Herausforderung fĂŒr die Gesellschaft?

Wir sind in Deutschland sehr verwöhnt, weil immer ausreichend Energie zur VerfĂŒgung steht. Sich allein schon an den Gedanken zu gewöhnen, dass das vielleicht nicht so bleiben wird, dĂŒrfte eine grosse Umstellung sein. Nach langen Zeiten des Energieluxus ist das Umdenken eine enorme Herausforderung.